Warum lässt Gott das zu?
Schon unzählige Menschen haben diese Frage gestellt. Gefühlt seit Menschengedenken gibt es sie. Sie tritt hervor als Schrei in Not. Nicht selten aber erscheint sie auch als Anfrage: Wenn es Gott gibt, warum passiert dann…? Es ist eine Menschheitsfrage.
Die christliche Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Die Antworten des christlichen Glaubens sind vielfach, eben viele. Man muss etwas Zeit mitbringen, um sie zu verstehen. Es bedarf wirklichen Interesses. Kein Christ sollte sie zu schnell als erledigt abtun. Kein Nichtchrist denken, die Frage allein reiche schon aus, um den Glauben an Gott als unsinnig zu entlarven. Die Antworten sind nur keine schnellen Antworten. Es sind komplexe Antworten für eine komplexe Welt. Aber sie können den tragen, der sich auf sie einlässt, selbst in tiefster Not. Dafür steht das Leben unzähliger Menschen ein. Doch es braucht etwas Zeit. Deshalb gibt es dazu diese kleine Serie, kleine Happen, um eine schwere Fragen zu verdauen. Ansonsten gilt: Jeder buchstabiert diese Frage sein ganzes Leben lang. In Coronazeiten aber lohnt es sich, mit ihrer Beantwortung anzufangen.
Teil 1 Ein provozierender Glaube & ein Gott unter Anklage
Wir kennen den Menschen seit er religiös ist, seit er seinesgleichen nicht einfach nur verscharrt, sondern ihnen Beigaben mitgibt, offensichtlich glaubt, dass diese Welt nicht alles ist, es da noch eine andere Wirklichkeit gibt. Doch wie verhält sich diese unsichtbare Wirklichkeit zu dieser Welt mit all ihrer Ungerechtigkeit, mit ihrem schieren Leid? Grenzen scheint es nicht zu kennen. Nicht nur der Mensch scheint in der Erfindung von Grausamkeiten grenzenlos zu sein, auch die Natur erscheint gnadenlos brutal, egal ob es sich um einen Tsunami handelt, der Tausenden innerhalb von Stunden ihr Leben kostet oder eine Krankheit, die einen Menschen nach und nach zerfrisst. Unberechenbar kommt das Leid häufig daher. Selten macht es Unterschiede. Der Volksmund gar sagt „Es trifft immer die Falschen“ und meint damit die Guten, obwohl der Glaube an gut und böse in dieser Welt schon lange nicht mehr flächendeckend existiert. Man muss nicht zwei Weltkriege und den Holocaust hinter sich haben, um die unzähligen Grausamkeiten in der Welt zu entdecken. Das konnte man schon immer sehen.
Doch nicht immer hatten Menschen deshalb ein theoretisches Problem mit ihrer Wirklichkeit. Die Welt war zwar undurchsichtig, aber erklärbar. Da gab es eben die guten und die bösen Kräfte. Da gab es die uns all zu menschlich wirkenden Götterkämpfe im Himmel. Mal gewann der Eine, mal der Andere. Die Auswirkungen waren dann eben auf Erden spürbar, das Leid der Menschen ein Abfallprodukt davon. Wichtig konnte jedenfalls sein, keinen der vielen Götter zu verärgern und mit den aktuell oder vor Ort dominierenden auf gutem Fuß zu sein. Lieber ein Gebet mehr sprechen, lieber einen Altar mehr bauen, lieber auf Nummer sicher gehen … aber Sicherheit gab es nie. So war die Antike z.B. voll mit Altären für den unbekannten Gott oder die unbekannten Götter. Man konnte nie wissen.
Wenn nun eine Naturkatastrophe passierte, wie wir modern sagen würden, oder auch eine Pandemie wie Corona ausbrach, war eben die Himmelsordnung aus den Fugen geraten und die Menschen ein Spielball der Mächte. Oder man hatte einen Gott schwer beleidigt und es galt nun schnell herauszufinden wen.
Jenseits der großen Weltbühne aber gab es ein Volk mit einem provokanten Glauben – das Volk Israel. Es glaubt nicht nur in einer Welt ohne Narkose an einen guten Gott, sondern glaubt noch dazu das, was später erst Philosophen mutig zu denken wagen: Es gibt nur einen Gott und alles, was hier auf Erden passiert geht über seinen Schreibtisch.
So gibt es z.B. seit Urzeiten unter Menschen die Erzählung von der großen Sintflut. Jedes Kind kannte sie. Während nun alle Völker darin einen Machtkampf der Götter sahen, wovon die einen es gut mit den Menschen meinen, die anderen Götter dagegen von dem Lärm der Menschen angenervt sind, glaubt Israel, dass nur ein Gott dahinter seine Hand im Spiel hat, der lebendige Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, JHWH, der Gott Israels.
Auf der einen Seite ist das ein super befreiender Glaube, wenn man nur noch eine Adresse hat, die für alles zuständig ist. Alle Angst und Ungewissheit gehen flöten. Auf der anderen Seite steht plötzlich diese Frage im Raum: Wenn es nur einen Gott gibt, warum dann das Leid? Ja, wenn dieser Gott auch noch als umfassend mächtig und gut geglaubt wird, warum lässt er dann zu, dass guten Menschen Böses widerfährt? Ja, wie kann es diesen Gott geben, von dem die Christen sagen, dass er alle Menschen liebt, sie auf Erden ihre Wege ziehen lässt, erst nach dem Tod Dinge richtigstellt, dass das Leid hier so grenzenlos und ungerecht erscheint. Der Glaube an den einen Gott ist es, der erst diese Frage provoziert. Der Glaube an seine unbegrenzte Macht und Liebe schreit diese Frage geradezu heraus: Warum?
Der Gelehrte Leibniz hat dafür Ende des 17. Jahrhunderts das Wort „Theodizee“ geprägt. Der Philosoph Epikur formuliert das Problem schon viel früher: „Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht, oder er kann es und will es nicht, oder er kann es nicht und will es nicht, oder er kann es und will es. Wenn er nun will und nicht kann, so ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, dann ist er missgünstig, was ebenfalls Gott fremd ist. Wenn er nicht will und nicht kann, dann ist er sowohl missgünstig als auch schwach und dann auch nicht Gott. Wenn er es aber will und kann, was allein sich für Gott ziemt, woher kommen dann die Übel, und warum nimmt er sie nicht weg?“
Epikur ist kein Christ. Er lebte vor Christus. Er lebte nicht in Israel. Und doch kann er sich nur einen allmächtigen und liebevollen Gott denken. Dann aber hat er eben dieses Problem. Wer an viele Götter glaubt, hat das nicht. Wer an keinen Gott glaubt, der ganz und gar Liebe ist, auch nicht. Wer glaubt, dass Leid jeweils die Strafe für das letzte unbekannte Leben ist, Stichwort Karma, auch nicht. Wer Leid nur für Illusion hält natürlich auch nicht. Wer nur diese Welt für voll nimmt, sowieso nicht. Es ist die große Provokation an die Welt, wenn man glaubt, dass da ein Gott ist, der die Menschen über alle Maßen liebt und alle Macht in Händen hält. Ein wunderbarer Glaube mit einer großen Anfrage eben.
Die Bibel kennt diese Anfrage. Wer sie stellt ist in guter Gesellschaft. Jesus hat sie z.B. am Kreuz gestellt (Markus 15,34).
Der Gott der Bibel lässt diese Anfrage zu, die Klage darüber, ja die Anklage, ja die grenzenlose Anklage. In 42 Kapiteln schildert das Buch Hiob mit großer Ausdauer, wie Gott anklagt für seine Not. Gott nimmt es ihm nicht krumm. Keiner muss sich dumm anschauen lassen, der diese Frage an das Leben und Gott hat.
Gott distanziert sich nicht vom Leid dieser Welt. Er nimmt es auf seine Kappe. Ja, er lässt es zu. Und er kommt sogar in Jesus in dieses Leid hinein. Denn anders als der Gott der griechischen Philosophen ist er nicht leidenschaftslos. Er liebt diese Welt und leidet deshalb an ihr. Er weint in Jesus Tränen um diese Welt. Nur der Glaube an den Gott Israels legt das Gott nicht als Schwäche aus, sondern als Stärke, freilich die Stärke von der die Christen leben. Und nur der Gott der Bibel, verbietet Menschen nicht, ihn zu hinterfragen, nimmt Anklage nicht als Majestätsbeleidigung. Der Gott Jesu Christi lässt sich jede Anfrage gefallen.
Meine Bitte an Sie ist: Geben Sie sich auch nicht mit einfachen Antworten ab. Zwar kann keiner bei seinem Schöpfer Rechte einklagen, aber der Gott der Bibel will Vertrauen gewinnen, Liebe wecken. Das geht nicht mit Unterwerfung. Das geht nicht ohne Überzeugung. Das geht nicht ohne Fragen. Fragen erzeugen Leid. Aber damit sind wir schon bei einem Teil der Antwort. Fragen Sie! Antworten folgen! Leben müssen Sie selbst. Aber das ist schon wieder ein Teil der Antwort.
Teil 2: Der große Unterschied – oder das metaphysische Übel
Das Coronavirus führt es uns schmerzlich vor Augen. Wir alle sind sterblich, ja es kann einen früher treffen, als man es denkt. Schockierende Bilder aus Italien bringen den Tod in unser Wohnzimmer. Einen Tod, der in unserer Gesellschaft immer mehr an den Rand rückt, ist plötzlich sehr präsent, ja, wird zum Gespräch zwischen Großeltern, Eltern und Kindern. Auch wenn Christen auf den Himmel verweisen können, bleibt doch dieses eine Übel bestehen. Wir sind endlich! „Von Erde bist du genommen, zu Erde sollst du wieder werden“. Wir sind Geschöpfe wie andere, endliche Geschöpfe in einer endlichen Welt. Wir sind nicht vollkommen. Wir sind nicht Gott. Das ist der große Unterschied.
An dieser Begrenzung leiden wir, ob im Blick auf andere oder uns. Doch diese Grenze gehört zur geschaffenen Welt. Es ist nicht nur eine zeitliche Begrenzung. Es ist auch eine räumliche. Wir können nicht immer überall sein. Wir können an der Qual der Entscheidung leiden. Damit ist auch folglich klar, dass wir nicht nur allgemein in der Macht, sondern auch konkret in unserem Wissen begrenzt sind. Mal erleben wir den einen Faktor, mal den anderen als Übel, mal mehr, mal weniger. Dieses Übel nennt man das metaphysische. Es geht über die Physik hinaus. Es ist die Konsequenz des großen Unterschiedes zwischen dem Schöpfer und der Schöpfung. Wir sind nicht seine Duplikate.
Die Begrenzung unseres Wissens ist dabei auch der Grund, warum es keine Antworten auf die Frage nach dem Leid geben kann, die den Anspruch eines Beweises haben können. Alle theologischen oder philosophischen Versuche müssen daran notwendig scheitern, seien sie christlich oder nicht. Dazu bedürfte es eines göttlichen Standpunktes, jenseits des Universums von Raum und Zeit.
So leicht zu verstehen ist, dass aus dem großen Unterschied zwischen Gott und Mensch, Leid an der Begrenzung wachsen kann, so wirft es doch ein Licht auf unsere Existenz. Warum können wir dieses Maß so schwer akzeptieren, sind gar so maßlos? Es ist die alte Geschichte vom Menschen, vom Sein-Wollen-wie Gott und seinem Nicht-Aushalten-Können, nicht so zu sein. Wir können Gott nicht Gott sein lassen. Es ist die Geschichte vom Garten Eden. Es ist die Geschichte von uns allen.
Es ist spannend zu sehen, dass dieses Defizit der Begrenztheit der große Philosoph und Gottesleugner Nitsche als Grund dafür ansah, warum Menschen glauben – eben um es irgendwie zu überwinden. Zugleich aber lässt er seinen Zarathustra sprechen: Wenn „es Gott gäbe, wie hielte ich’s aus, kein Gott zu sein! Also gibt es keinen Gott“. Die psychologischen Erklärungen, die man für den Glauben von Menschen anführt, werden immer zugleich im Umkehrschluss zu Erklärungen, warum Menschen nicht glauben. So erklären manche im Anschluss an Sigmund Freud, dass Gott Projektion der Menschen sei, da sie sich nach einem behüteten Leben sehnen. Genauso könnte man im Nicht-glauben-können an Gott mit dem Psychater Manfred Lütz den Wunschtraum entdecken auf Erden eine sturmfreie Bude zu haben, wo man am Ende tun und lassen kann, was man will. Verständlich, dass sich das manche wünschen.
Warum gibt es das Leid in der Welt? Die erste Antwort muss lauten: Weil wir endlich sind. Diese Antwort zeigt, warum kein Mensch sie abschließend beantworten kann. Diese Antwort kann zudem nur eine vorläufige Antwort sein, da sich Anschlussfragen stellen. Im Bild gesprochen, gibt sie nur die Himmelsrichtung vor, in der das Ziel zu finden ist, konkrete Fragen zum Weg stellen sich: Warum können Menschen anderen Leid zufügen? Warum gibt es in der Welt Gottes menschlich unverschuldetes Leid?
Es folgt Teil 2. Wer nicht warten kann, kann sich telefonisch bei mir melden (06446-329). Die ganze Reihe am Stück kann man unter www.feg-frankenbach.de lesen.
Warum lässt Gott das zu?
Teil 3: Der Preis der Freiheit
Freiheiten haben ihren Preis. Das spüren wir in den Tagen, in denen die Coronamaßnahmen gelockert werden. Freiheit heißt Risiken zuzulassen. Und doch ist Freiheit ein riesiger Gewinn. In der Menschheitsgeschichte waren deshalb immer wieder Menschen bereit, dafür sogar ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
Auch macht es einen Unterschied, ob ich die gleiche Sache in Freiheit erfahre oder freiwillig tue. Es ist ein Unterschied, ob ich mich freiwillig in Quarantäne begebe oder ob man mich einschließt. Es ist ein Unterschied, ob ein Schüler im Unterricht mich grüßt oder später auf der Straße. Es ist eine Welt, ob eine Frau mich aus eigenen Stücken küsst, dafür bezahlt wird oder es ihr abgezwungen wird. Nur ersteres nennen wir Liebe. Liebe ohne Freiheit – wer kann sich das denken? Eine Welt ohne Freiheit wäre eine Welt ohne Liebe. Und sowohl eine Welt ohne Freiheit als auch ohne Liebe würden wohl die wenigsten als gute Welt bezeichnen.
Freiheit ist ein hohes Gut. Und doch hat sie ihren Preis. „Möglicherweise“ muss ich korrekter Weise sagen. Möglicherweise stecke ich mich z.B. an. Möglicherweise ignoriert mich der Schüler auf der Straße. Möglicherweise gibt mir die Frau meiner Träume statt einem Kuss einen Korb. Und schon sind wir beim Thema Leid.
Anders als in alten Schöpfungsmythen hat der Gott der Bibel nach, den Menschen als freies Gegenüber geschaffen, als Menschen mit Wahl, als Menschen, der sich gegen Gott und das Gute entscheiden kann. Er hat sich für einen Menschen mit Handlungsfreiheit entschieden. Ja, sie macht das aus, was wir Personalität nennen. Als diese Personen scheint der Menschen grenzenlos in seiner Phantasie zu sein, anderen Menschen Schaden zuzufügen. Zugleich aber stellt er aus Wollen und Liebe Unglaubliches auf die Beine. Der Preis der Freiheit ist die Möglichkeit des Übels.
Würde man versuchen durch Genveränderung oder Medikamente, durch Manipulation der Psyche oder neurochirurgische Eingriffe, diese Freiheit eingrenzen oder ausräumen, um die Möglichkeit, Schlimmes zu tun, zu beseitigen, wäre dies ein Eingriff in die Identität des Menschen. Dieser wird zwar nicht erst dadurch Mensch, dass er Böses tut, aber dadurch, dass er Böses tun kann, kein Roboter ist.
Die wenigsten würden sich diese kalte, emotionslose und vorhersehbare Welt wünschen. Doch kann man fragen: Hätte ein Gott der Liebe nicht dem von Menschen verursachten moralischem Übel Grenzen setzen können, eine Spannweite, in der er sich bewegt, dass es weder zu „bestialischen“ Einzeltaten kommt, wie wir fälschlicherweise von Menschen sprechen, noch zu von langer Hand geplanten Vernichtungen ungeahnten Grauens kommt, sei es der Holocaust oder die Atombombe? Doch wo soll diese Grenze plausibel verlaufen? Und wäre eine Grenze zum Bösen nicht immer schon eine Grenze des Guten? Sicherlich. Ja, würde der Mensch eine Grenze zum Bösen als gottgegebene Grenze vernehmen, er wäre ab dem Moment nur noch theoretisch frei. Die Welt des Glaubens, der Freiheit und der Liebe hätte ein Ende.
Es bleibt dabei: Gott räumt aus Liebe dem Menschen die Freiheit ein, ja oder nein zu ihm zu sagen, zu tun und zu lassen, was er will, um den schmerzhaften Preis für uns und für ihn als unseren Schöpfer, dass wir einander Leid antun.
Der Christ kann keine Wirklichkeit ohne diese Freiheit zum Bösen als „bessere Welt“ bezeichnen, aber er weiß, dass diese Welt mit ihrer Freiheit zu einer besser werdenden Wirklichkeit gehört, über die das Böse nicht das letzte Wort hat. Dazu aber im vierten Teil mehr. Wer nicht warten kann, kann sich telefonisch bei mir melden (06446-329). Die ganze Reihe am Stück kann man unter www.feg-frankenbach.de lesen. (c) Raphael Vach.
Teil 4 Der Weg gehört zum Ziel oder das physische Übel
Warum lässt Gott das zu? Der vierte Teil unserer kleinen Serie stellt sich nun endlich der Frage nach Covid19. Warum gibt es Leid in dieser Welt, das vom Menschen nicht verursacht ist? Klar, könnte man für die Entstehung des Coronavirus auch ethisch fragwürdige Eingriffe in die Welt der Wildtiere heranziehen, für dessen große Verbreitung auch auf unverantwortliches politisches Verhalten verweisen, aber eben nur „auch“. Es gibt schreckliches Leid, da hat der Mensch seine Hand nicht im Spiel. Jeder Tsunami, jeder Vulkanausbruch, verdeutlicht das sofort. Und wenn Seuchen zu allen Zeiten Menschen dahingerafft haben ohne Unterschied, häufig die Schwächsten zuerst, wenn der Krebs das Leben einer Mutter zerfrisst, dann steht die Frage im Raum: Warum um alles in der Welt muss das sein?
Wozu ist physisches Übel wie Naturkatastrophen und Krankheit gut? Wozu nötig? Erstere Frage ist dabei noch leichter zu beantworten als zweite. „Hat dieser Virus irgendetwas Gutes?“, fragt mich die Tage eine Frau. Irgendetwas? Durchaus. Aber eben nur irgendetwas. Menschen zeigen ungeahnte Hilfsbereitschaft und Solidarität. Menschen überbieten sich an Kreativität, um die Krise zu meistern. Wissenschaft vermag Dinge in kürzester Zeit, dass man nur staunen kann. Die Krise fördert bei manchen Menschen das Beste zu Tage. Ja, manche wachsen mit der Krise. Aber eben nur manche. Doch zugleich werden Menschenleben zerstört, berufliche Existenzen vernichtet, Gesundheit für immer geschädigt. Ja, Leid, ja Krisen können Gutes befördern, Chancen sein, aber es tröstet kaum über den Schmerz, z.B. des Verlustes.
Ist physisches Übel aber nötig? Ist es denkbar in der Schöpfung eines Gottes der Macht und der Liebe? Denken kann man sich andere, fiktive Welten. Der Roman „Brave New World“ von A. Huxley ist so ein Versuch. Sie zeigt eine Welt, in der sichergestellt und überwacht wird, das Leid ausbleibt. Für Huxley ist es zu Recht eine schreckliche Welt. Es wäre keine menschliche Welt. In ihr gibt es keinen Raum für persönliche Entwicklung und menschliche Reifung. In ihr ist kein Platz für wirkliche Gefühle. Es ist nicht nur eine unmenschliche, weil viele Menschen gerade harte Zeiten als Zeiten höchster emotionaler Intensität erleben, im Rückblick häufig als die hilfreichsten Jahre ihrer Entwicklung und Charakterbildung, die sie nicht wissen wollen. Es ist sogar der Fall bei kleinen Herausforderungen, letztlich bei jeder Entwicklung. Immer geht es darum, einen weniger leidvollen Zustand zu erreichen. Häufig gar wird unser Glück dadurch groß, dass wir Schweres gemeistert haben, sei es eine Bergbesteigung, eine Klausur oder eine entbehrungsreiche Zeit. Häufig erleben wir Glück als Glück, weil es unberechenbar über uns kam. Das aber kann nur passieren, wenn auch das Gegenteil möglich ist: das Leid. Insofern ist Leid im weitesten Sinne der notwendige Preis personaler Entwicklung und auch großen Glücks.
Doch ist dieser Preis kein hinreichender. Man mag zum Einstieg an den Sport denken. Was für den einen eine Hürde ist, die motiviert, lässt den anderen verkrampfen. An Leid kann man wachsen. Man wächst sicherlich auch nur mit seinen Aufgaben. Aber an Leid kann man auch verzweifeln und zerbrechen. Menschen können durch Schweres verhärten und abstumpfen.
Damit Letzteres nicht passiert, bedarf es Hoffnung, die durchhalten lässt, dem Schlimmsten Sinn abgewinnen kann und bei der das Leid und der Tod nicht das letzte Wort hat. Diese Hoffnung bietet der christliche Glaube. Diese bezeugt der Apostel Paulus, wenn er an die Römer schreibt: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ Wozu etwas gedient hat, sieht man häufig erst im Rückblick. Und viele schöpfen aus solchen Rückblicken Hoffnung für die Zukunft, dass es wieder so sein könnte. Der christliche Glaube aber ist sich im Voraus einer heilvollen Zukunft gewiss, weil er einen Gott der Liebe und Macht kennt. Damit hat der Christ nicht nur Gewissheit über den Ausgang, Gottes neue Welt, sondern auch über die Sinnhaftigkeit im Hier und Jetzt und die daraus entstehende Kraft. Einer der großen Psychologen des vergangenen Jahrhunderts und KZ-Überlebende Victor Frankl hat dies mit seinem Leben nicht nur bezeugt, sondern die Kraft des Sinns, nicht zuletzt des Glaubens, in seinem Werk herausgearbeitet, während der herausragende atheistische Denker Albert Camue befürchtete, dass eine rein naturwissenschaftliche Sicht auf die Welt, die keinen letzten Sinn kennt, den Suizid zu einem der größten Probleme der Zukunft macht. Für eine rein naturwissenschaftliche Sicht auf die Welt ist somit auch die Frage nach dem Warum des Leides, so sehr sie auch persönlich drängend sein mag, Zeitverschwendung.
Als Christen glauben wir, dass wir diese Hoffnung auf Zukunft, heute oder in Ewigkeit, dadurch haben, dass Gott in Jesus Christus bereit war aus Liebe, alles zu erleiden, was zu erleiden war und gegen ihn stand, um ein für allemal zu erweisen, dass nichts ihn von seiner Zuwendung zu den Menschen abbringen kann.
Das lehrt zum Einen: Liebe beinhaltet Leidensbereitschaft. Ja, man leidet nur, wenn man Dinge liebt. Liebe und Leiden das hängt zusammen. Christen sehen sich im Lieben der Welt und im Leiden an ihr mit Gott verbunden. Leid kann niemals für sie gleichgültig werden.
Zum anderen lässt die bedingungslose Liebe Gottes hoffen, dass selbst da, wo man aktuell keinen Sinn im Leid erkennt, diesen im Rückblick erkennen kann und dass in Zukunft das Leid überwunden wird. Diese Hoffnung aber vertieft wiederum die Beziehung zu Gott, stärkt die Freude an ihm gerade im Leid und wird allein dadurch auch als sinnvoll erfahren.
Man kann fragen, warum Gott nicht sofort einen Zustand erschaffen hat, indem alles Leid überwunden ist, alle Tränen getrocknet, wie die biblische Hoffnung verheißt (z.B. in Offbarung 21,1-7)? Diese Frage würde als kritische Anfrage voll zum Tragen kommen, wenn diese zukünftige Welt nichts mit der ersten zu tun hätte. Doch die erste Welt ist der Weg zur finalen Welt Gottes. Ja, noch mehr. Dieser Weg gehört notwendig zum Ziel. Gott zielt nun einmal auf eine Liebesbeziehung zum Menschen. Liebe aber braucht Zeit. Liebe ist nur Liebe, wenn es mindestens möglich gewesen ist, ihn nicht zu lieben, die Freiheit zu haben, zu ihm nein zu sagen. Liebe setzt Vertrauen voraus. Dazu bedarf es aber mindestens einer Zeit, in der begründeter Zweifel möglich ist. Dazu bedarf es einer Welt, die dieses Liebe, dieses Vertrauen, diese Hoffnung hervorbringen kann. Dazu bedarf es einer Welt des Leides – als Weg.
Der Weg ist also nach christlicher Auffassung nicht das Ziel. Aber der Weg gehört zum Ziel. Auf diesem Weg erfährt der Christ eine unfassbare Liebe und eine geradezu atemberaubende Hoffnung, aber im Modus des Glaubens, notwendig mit dem Stachel des Schmerzes, der sie mit allen anderen Menschen mitleidend vereint. Aber eben mit einer Antwort auf den Schmerz. Um sie geht es in der letzten Folge.
Wer nicht warten kann, kann sich telefonisch bei mir melden (06446-329). Die ganze Reihe am Stück kann man unter www.feg-frankenbach.de lesen.
(c) Raphael Vach